literatur

Ein Gespräch über Journalismus und Österreich – und warum man die Begriffe Humor, Komik und Witz nicht vermischen sollte

Seit gut 30 Jahren bereist Max Goldt unermüdlich die Lesebühnen im deutschen Sprachraum. Kommende Woche ist er im Wiener Wuk zu Gast. Der Kleist-Preisträger 2008 ist ein Präzisionsarbeiter der Sprache, der den Sprachgebrauch der Gegenwart aufmerksam verfolgt und analysiert. Der Journalismus kam bei dieser Analyse oft nicht sehr gut weg. Ein Gespräch über komische Einladungen vom Deutschen Literaturarchiv Marbach, das Comicduo Katz & Goldt, die Zuneigung zu David Bowie und darüber, ob man "spannend" sagen sollte oder nicht.

"Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muss so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zulässt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun." Diese Sätze, die Sie 2001 über die "Bild"-Zeitung schrieben, sind inzwischen zu einem populären Internet-Meme geworden. Verschafft Ihnen das Genugtuung?

Max Goldt: Das ist ein sehr sauber geschriebener Satz, an dem ich kein Jota ändern möchte. Allerdings ist er das Einzige, was ich je über diese Publikation geäußert habe. Es könnte mich irritieren, wenn geglaubt würde, ich beschäftigte mich geistig mit solcherlei Kram. Ich halte es da wie Nancy Pelosi, die neulich sagte, Trump sei es nicht wert, des Amtes enthoben zu werden. Ich habe Nancy Pelosi mindestens sieben Minuten lang geliebt.

Sie üben immer wieder Journalismus- und Sprachkritik – sind Sie ein Mahner und Bewahrer? Würden Sie sich als konservativ bezeichnen?

Ich bin nicht sehr sprachkonservativ, allerdings für die Bewahrung der Ausdrucksfähigkeit und des kulturellen Reichtums. Wegen des schlechten Images von Sprachkritik habe ich meine entsprechenden Texte immer lieber als Spracherörterungen bezeichnet. "Mäkelei", etwa über Gender-Sternchen oder "Deppen-Apostrophe", werden Sie bei mir nicht finden. Ich habe übrigens gar nicht so viele Sprachkritiken geschrieben. Die würden gesammelt kaum ein Reclam-Heftchen füllen.

Istanbul, Bahnhof Sirkeci, 1971.

Ein nicht ganz schlanker Mann Anfang 40 sitzt auf einem Prellbock. Er ist gerade aus dem Orient-Express gestiegen, er sieht furchtbar müde aus, er ist völlig erschöpft. Eine Fernsehkamera wartet auf Worte von ihm, aber ihm fallen keine ein. Er gehe jetzt einfach ins Bett, sagt er. Kurz darauf erleidet er einen Zusammenbruch. Sein Name ist Ian Nairn.

Rückblende – London, 1954.

Ein großer, schlanker Mann Anfang 20 klingelt an der Tür des Architectural Review. Er klingelt hier jeden Tag seit Wochen, er hat der renommierten Architekturzeitung Artikel geschickt und will sie publiziert sehen. Er ist kein Architekt und kein Journalist, er ist studierter Mathematiker und Pilot, er trägt noch seine Fliegerjacke der Royal Air Force. Er weiß, was er will. Irgendwann ist Chefredakteur Hastings des tägliche Geklingel leid und er gibt dem jungen Mann den Job. Kurz darauf publiziert dieser sein erstes aufsehenerregndes Buch mit dem Titel „OUTRAGE“, eine wütende Kampfansage an die gesichtslose Suburbanisierung seines Heimatlandes. Heute würde man es „Zersiedlung“ nennen, er erfindet dafür den Begriff Subtopia. Wenn dies so weiterginge, donnert er, dann: „The end of Southampton will look like the beginning of Carlisle; the parts in between will look like the end of Carlisle or the beginning of Southampton"Sein Name ist Ian Nairn.

Ob New York, Neubau oder Aspern: Die verdichtete Stadt gilt heute mehr denn je als Erfolgsrezept für urbane Lebensqualität. Ein opulentes Buch zur Stadtbaugeschichte, das bereits vor einigen Monaten erschien, und ein brandneuer Architekturführer für Wien legen dafür handfeste Beweise vor.

„Es besteht wohl kein Zweifel darüber, dass die Mehrzahl der Menschen lieber in einer Großstadt wohnt als auf dem Land. Erwerb, gesellschaftliche Stellung, Komfort, Luxus, Zeitvertreib im guten wie im schlechten Sinne und schließlich die Kunst sind Motive dieser Erscheinung.”
Der Mann, der sich hier für großstädtische Urbanität in die Bresche wirft, heißt Otto Wagner und hat als Architekt und Stadtbaudirektor in Wien wie kein anderer alles dafür getan, die genannten Vorteile des Metropolenlebens zu vermehren. Von der Genialität, mit der Wagner den Ingenieursgeist enormer Infrastrukturprojekte wie Stadtbahn und Wienflussregulierung mit der repräsentativen Stadtbürger-Eleganz seiner Architektur verband, profitiert Wien noch heute.

Jetzt, da Wien neuesten Prognosen zufolge immer schneller auf die 2-Millionen-Einwohner-Marke zusteuert, ist die Frage der Urbanität wieder in den Mittelpunkt der Debatten gerückt. In den großen Stadterweiterungen wie der Seestadt Aspern, dem Nordbahnhof und dem Sonnwendviertel am neuen Wiener Hauptbahnhof wird auf Stadtblocks mit hoher Dichte gesetzt.
Nicht nur weil man die tausenden Zuzügler pro Jahr ja irgendwo unterbringen muss, sondern weil es ein bewährtes Modell ist. Eine dicht bebaute Stadt ist eine lebenswerte Stadt, heißt es bei den Stadtplanern. Dichte Städte haben kürzere Wege, die man ohne Auto zurücklegen kann, verschwenden weniger Platz, haben die bessere Kultur und die besseren Shops, weil auf engem Raum mehr Leute wohnen, die sich für diese Dinge interessieren. Manche bekommen in den engen Wohnhöfen der neuen Stadtviertel Platzangst und flüchten in periphere Häuslbauerwelten, doch für die Mehrzahl bleibt die Attraktivität des Zusammenlebens auf engem Raum ungebrochen.

Was tun, wenn sich der Sommer für einen Tag doch noch auf seine Kernkompetenzen besinnt, man sich soeben ein Midlife-Rennrad zugelegt hat, auf dem man nach etwas Übung  auch nicht mehr pedalbedingt vor versammelter Kreuzungspopulation seitlich umkippt? Man radelt Richtung Westen, ruft den aufgestauten Autofahrern am Altmannsdorfer Ast ein hämisch nelsonmuntz'sches "HAA-ha!" entgegen und verschwindet sohin im Wienerwald.

Der 37.Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb brachte Erleichterung in Klagenfurt und eine verdiente Gewinnerin

Besser hätte man sich die Dramaturgie kaum ausdenken können: Zunächst die Androhung des ORF, die Tage der deutschsprachigen Literatur, vulgo Ingeborg-Bachmann-Preis, nicht mehr auszurichten - just zwei Wochen vor Beginn der jüngsten Ausgabe. Dazu gab es dann vor Ort aufziehenden Gewitterregenwolken als fast schon übertrieben metaphorisch-meteorologisches Bühnenbild.

Hinter den Palisaden eines gallischen Dorfs die Verteidiger des Kultur- und Bildungsauftrages und der Klagenfurter Institution; auf der anderen Seite ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, Verkünder der Drohbotschaft, in der Schurkenrolle des Stücks, sekundiert von all jenen, die es schon immer gewusst hatten und nun mit triumphalem „Endlich!“ dem hochdotierten Literaturwettbewerb schon voreilige Grabreden hielten.

Der eigentliche Bewerb zeigte sich dann von dieser Rahmenhandlung völlig unbeeindruckt und lief, wie immer, kurzweilig und konzentriert ab, als wolle er zeigen, was ihn schon immer ausgezeichnet hat: Dass das öffentliche, ausführliche Reden über Literatur in einem physischen Da-Sein am selben Ort einen fundamentalen Mehrwert hat gegenüber hehren Monologen, die in den germanistischen Schreibstuben ausgetüftelt werden.

(Der folgende Text entstand Ende 2012 als Gastbeitrag für den famosen Podcast "Die klingende Kulturstube", dessen 5 Folgen man unbedigt hören sollte, wenn einem die Kultur auch nur einen Cent wert ist. Aus aktuellem Anlass erscheint er hier erstmals in nonakustischer Form).

Wie heute bekannt gegeben wurde, überlegt der ORF, den Bachmannpreis ab 2014 nicht mehr auszurichten. Schock, Wut und Trauer geistern seitdem durch die Landschaft der deutschsprachigen Literatur wie,... wie drei so Geister. Doch handelt es sich vielleicht nur um ein geschicktes Täuschungsmanöver, ein Ablenkung in adiecto, eine medienpolitische Chimäre sibyllinischen Zuschnitts? Wie unser Reporter Harry Halal jetzt herausfand, arbeitet der ORF heimlich an einem Relaunch des Bewerbs. Und ich kann jetzt schon verraten, es wird geklotzt und nicht gekleckert. Aber hören wir, was Harry Halal aus Kärnten berichtet.

 

Wiesbaden: Die unbekannteste Mittelgroßkleinstadt Deutschlands. Kein Mensch kennt auch nur ein Gebäude, ein Wahrzeichen, eine Person aus Wiesbaden. Die Weltgeschichte weiß von keiner Schlacht bei und keinem Frieden von Wiesbaden, die Stadt scheint im Windschatten aller anderen gemütlich, wohlhabend und ein bisschen langweilig dahinzuexistieren, so schattig, dass man bisweilen daran zweifelt, ob sie wirklich existiert. Dann aber bekommt man Post von jemandem, der behauptet, tatsächlich in einem anscheinend doch vorhandenen Wiesbaden zu leben, dort ein prachtvolles Magazin namens Stijlroyal herauszugeben, und für die nächste Nummer Geschichten von Autoren über Orte in eben diesem Wiesbaden zu sammeln. Der Clou an der Sache, so diese Person weiter, sei, dass keiner dieser Autoren je vor Ort gewesen sei und abgesehen von einem zerknautschten Foto nur ein äußerst dürres Briefing bekäme.

Tourismus: Drei Reisebücher, die keine Reiseführer sind, über Geschichte und Kunst des Unterwegsseins

Seit das Reisen nicht einfach Wegfahren bedeutet, sondern zu Tourismus und weiter zur Tourismusindustrie geworden ist, firmiert es als Lieblingsgegenstand von Forschung, Literatur und polemischer Kritik. Schon 1958 haute ihm Hans Magnus Enzensberger seine „Theorie des Tourismus“ um die Ohren: Romantik ohne Revolution, Ferne als Erlösung, die Sehenswürdigkeit als Befreiung vom schlechten Gewissen des Nichtstuns und der pikierte Dünkel der Pioniere über die nachfolgende Masse.
Daran hat sich nicht viel geändert. Allerdings hat, wie Enzensberger heute schreibt, im Easyjet-Zeitalter, in dem jeder Trafikant New York und Bali längst auswendig kennt, das Fernweh seinen Glanz verloren. Wie eine Wanderheuschrecke zieht der Mensch mit der Masse um die Welt.

Beide Enzensberger-Texte finden sich im Sammelband „Die Zukunft des Reisens“, herausgegeben von SZ-Feuilletonchef Thomas Steinfeld. Entstanden als Auftragsarbeit für den Schweizer Tourismuskonzern Kuoni, stellt er eine eigenartige Mischung aus Feuilleton und Marktforschung dar, eine Kombination, die dem Thema Tourismus wie angegossen passt.

Was den Baumeister Solness antreibt

Beitrag im Programmheft des Staatsschauspiels Dresden zum Stück "Baumeister Solness" von Henrik Ibsen.

Der Baumeister Halvard Solness kommt uns bekannt vor. Ein Archetyp unter Architekten: der getriebene Egomane, der seinen Mitmenschen zwar Wohnungen baut, aber, sind wir ehrlich, sich letztendlich doch nur selbst verwirklichen will. Und hinter seinem Drang in die Höhe, seiner Turmsehnsucht, ahnen wir jahrelang gärende Komplexe, wenn nicht gar ein handfestes Trauma. Ja, unsere durch Bücher, Filme, Vorabendserien und die kopfschüttelnde Anschauung überdimensionierter Beton- und Stahlgebilde in unseren Städten genährten Vorurteile werden von „Baumeister Solness“ voll und ganz bestätigt.