Auf und Ab mit dem Rad zu Wystans Wigomat!

Was tun, wenn sich der Sommer für einen Tag doch noch auf seine Kernkompetenzen besinnt, man sich soeben ein Midlife-Rennrad zugelegt hat, auf dem man nach etwas Übung  auch nicht mehr pedalbedingt vor versammelter Kreuzungspopulation seitlich umkippt? Man radelt Richtung Westen, ruft den aufgestauten Autofahrern am Altmannsdorfer Ast ein hämisch nelsonmuntz'sches "HAA-ha!" entgegen und verschwindet sohin im Wienerwald.

Sulzer Haarnadel, Wöglerin-Steigung, Forsthofer Sturzschlucht, ein mehrhebiges Auf und Ab auf besonntem Asphalt, gesäumt von leider mehrheitlich verwaister und tumbleweedumwehter Gastronomie, was im Falle des "Schusternazl" auch an dessen etwas unglücklicher Phonetik liegen mag.

Als wäre das noch nicht genug Poetry in Motion, bietet sich als ideales Tagesziel noch das Audenhaus in Kirchstetten an. So wird der schnöde Sport kulturell aufgejazzt: Win-win im Wienerwald. In jenem Haus (Adresse "Hinterholz 6") verbrachte der englische Dichter W.H.Auden (1907-73) die letzten 16 Jahre seines Lebens. W.H. steht für Wystan Hugh, und "Wystan", ein Vorname wie ein ausgestorbenes keltisches Kartenspiel, ist ja schon kein ungeiler Vorname.

Nach 70 Kilometern Auf und Ab rast man auf praktisch senkrechter Straße ins von der Westautobahn durchschnittene Kirchstetten, um dort im Audenhaus keuchend den Radlerschweiß auf Vitrinen und Gästebücher zu verteilen, während der nette Audenhausmeister Herr Weinheber-Janota erzählt, wie sich Auden sonntags in Kirche und Wirtshaus unter die Dorfbevölkerung mischte. Des Dichters Schreibstube sieht genau so aus, man sie sich vorstellt. Dann aber entdeckt man auf dem Bücherschrank ein mausgraues Gerät mit der Aufschrift wigomat 140. Dieses Designerkleinod der 60er Jahre war eine der ersten Filterkaffeemaschinen überhaupt. Der als technikfeindlich bekannte Auden brütete hier also nicht nur, er brühte auch - und das mit High-Tech im Hinterholz.

When I was radling to Kirchstetten
To the Master of Sonetten
It was peinlich (I was sweating),
but I left with a happy heart
because of W.H. Audens Wigomat.

 

 

 

Erschienen in: 
Falter 38/2014, 16.09.2014