Miami Beach statt Kaisermühlen

Der Turm, der aus dem Nichts kam: An der Reichsbrücke sollen die 150 Meter hohen "Danube Flats" entstehen - direkt vor dem Wohnhochhaus von Harry Seidler. Eine Bürgerinitative wehrt sich nun dagegen.

Ende Oktober bekam Bürgermeister Michael Häupl Post von einer älteren Dame aus Australien, die ihn bat, von einem Vorhaben abzusehen, das "allen rationalen Zielen der Stadtplanung widerspricht". Die Dame war Penelope Seidler, Witwe des 2006 verstorbenen Architekten Harry Seidler.

Was war passiert? Kurz zuvor war das Ergebnis eines Architekturwettbewerbs präsentiert worden, das den Bau eines 150 Meter hohen Wohnturms an der Reichsbrücke, rund 30 Meter neben dem segelgekrönten Seidler-Tower, vorsah. Sollte das Projekt mit dem Namen "Danube Flats" gebaut werden, wäre von Seidlers weißem Wohnturm nicht mehr viel zu sehen.

Zwar hatte Seidler einst selbst an dieser Stelle ein Hochhaus vorgesehen, allerdings nur mit 60 Metern Höhe. Statt diesem wurde das Cineplexx errichtet, das nie so recht funktionierte. Das Kino sperrte 2011 zu und diente zuletzt als Zuhause des finsteren Kapitalismus-für-Kinder-Trainingscamps Minopolis. Für die Grundeigentümer, die Soravia Group und die S+B Gruppe, nicht mehr rentabel.

Der Entwurf für die Danube Flats, mit dem sich die bisher eher durch kleine Bauten aufgefallenen Project_A01 Architects (Andreas Schmitzer, Maria Planegger-Soravia) gegen die renommierten Querkraft und BEHF durchsetzten, zeigt windschnittige weiße Terrassen, begrünt bis oben hin. Ein nicht unelegantes Design, das jedoch eher an Miami Beach erinnert als an Kaisermühlen.

Es ist auch nicht die Architektur, die seitdem für Aufregung sorgt, sondern die Plötzlichkeit, mit der der weiße Turm wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert wurde. Bisher gab es keine Pläne der Stadt Wien für ein Hochhaus an dieser Stelle. Der Bebauungsplan sieht zur Zeit noch maximal 26 Meter Höhe vor.

Auch Irmgard Taibl und Gerda Bruckner, Bewohnerinnen des Seidler-Towers, wurden überrascht. "Nach der Bekanntgabe waren wir erst mal eine Woche ohnmächtig," erinnert sich Irmgard Taibl. "Als wir damals eingezogen sind, wurde Seidler noch von allen gefeiert, es hieß, die Planung hier wäre abgeschlossen. Wenn sie uns damals gesagt hätten, dass es in 10 Jahren zugebaut wird, hätten wir uns das anders überlegt."

Beide sind seitdem in der "Initiative Kaisermühlen" aktiv und kämpfen gegen den Wolkenkratzer vor dem Wohnzimmer. "Das Projekt wurde präsentiert, als sei es fix und fertig beschlossen, obwohl es keine rechtliche Basis dafür gibt", empört sich Gerda Bruckner. "Vor allem wundert mich, dass die Grünen, die sonst gegen Hochhäuser wettern, hier so entschieden dafür sind."

Ein Vorwurf, dem Christoph Chorherr, Planungssprecher der Wiener Grünen, der als Sachpreisrichter in der Wettbewerbsjury saß, vehement widerspricht: "Wir waren nie grundsätzlich gegen Hochhäuser! Die wesentliche Frage ist: Wo stehen sie, wie sind sie gebaut, ergeben sie einen Sinn." Dies sei beim Bauplatz an der Reichsbrücke ideal gegeben. "Wien wächst in Hochgeschwindigkeit. Wir müssen Wohnungen bereitstellen, sonst ziehen die Leute ins Umland. Hier ist ein idealer Standort für urbane Verdichtung. Ich verstehe zwar die Anrainer, aber wir vertreten das Allgemeininteresse."

Im Sinne dieses Interesses sei, so Chorherr, die Begrünung der Fassade, die Nähe zur U-Bahn, die durch Car-Sharing-Angebote unterstützt werden soll, und das Angebot des Investors, einen kleinen Anteil der 500 Wohnungen zu leistbaren Preisen anzubieten. Bei der Bürgerinitiative tut man sich schwer, das zu glauben. Man befürchtet, dass der Turmbau die starken Winde, für die die Donau-City berüchtigt ist, noch verstärken könnte. Dass eine 150 Meter hohe Fassadenbegrünung an der lärmintensiven Wagramer Straße frontal gegen den Wind funktioniere, sei nur schwer vorstellbar, so Taibl und Bruckner. Für Christoph Chorherr ist das nur eine Frage des Wollens:  "Auf der ganzen Welt kann man Terrassen bauen - lassen wir die Architekten und die Stadt doch mal realisieren!".

Urbane Verdichtung, mehr grün, weniger Autos - das klingt alles nicht schlecht. Um den Investor zu den versprochenen Gegenleistungen vertraglich verpflichten zu können, müsste allerdings erst die Wiener Bauordnung geändert werden. Wundern darf man sich schon, wie man an solch exponierter und für Wien wichtiger Stelle aus dem Nichts ein 150 Meter hohes Hochhaus aus dem Hut zaubern kann. Immerhin geht es um die von weit her sichtbare Skyline entlang der Donau.

Für den Stadtplaner Reinhard Seiß liegt die Crux in der Willkür: "Es ist zum einen etwas blauäugig, wenn sich Menschen in der Stadt eine Wohnidylle schaffen und sich dann wundern, wenn die Stadtentwicklung sie einholt. Andererseits ist der Protest verständlich, wenn dies ohne Vorwarnung und urbanistische Nachvollziehbarkeit passiert. Es fehlt die Vorhersehbarkeit von Veränderungen, auch weil es das Planungsinstrument dafür nicht gibt. Wenn jederzeit alles möglich ist, ist das quasi das Gegenteil von Planung."

Bei der Bürgerintiative verwehrt man sich dagegen, es ginge ihnen nur um die Gefährdung ihres Panoramablicks. "Von meiner Wohnung aus wäre der Blick kaum gestört," sagt Gerda Bruckner. "Optisch gefällt mir das neue Projekt sogar. Aber das schönste Haus in Wien so zu verstellen, das geht nicht. Wir werden alles tun, um dieses Haus zu verhindern."

(erschienen in: FALTER 6/2013, 6.2.2013)