Weltkulturerbe ade?

Die UNESCO-Bericht ist entsetzt über die Hochhauspläne beim Eislaufverein. Zeit, ein paar Fragen zu stellen: Wie kam es soweit? Wie geht es weiter? Und braucht Wien das Weltkulturerbe überhaupt?

Das kommt nicht überraschend: Der Ende März vorgelegte Bericht der UNESCO macht unmissverständlich klar, dass die Pläne für die Intercont-Erweiterung beim Eislaufverein das Weltkulturerbe Wiener Innenstadt "irreversibel gefährden". Im November 2015 hatte sich der italienische Architekt Giancarlo Barbato in UNESCO-Mission bei einem Lokalaugenschein die Pläne erläutern lassen und hatte auch mit den Gegnern des Projektes gesprochen.

Mit dem Ergebnis: Das Hochhaus störe den Canaletto-Blick vom Belvedere und die Einheit des Ersten Bezirk, die dank der zahlreichen Dachausbauten der letzten Jahre sowieso schon bedenklich am Kippen sei. Sogar das 1964 errichtete Intercontinental-Hotel selbst ist der UNESCO schon zu hoch und sollte idealerweise auf Baublockhöhe gestutzt werden.

Das Bundeskanzleramt (der Weltkulturerbestatus ist ein Vertrag auf Bundesebene) antwortete am 31.März in einem äußerst knapp gehaltenen Schreiben: Die Meinung der zahlreichen Experten im kooperativen Verfahren, das dem Architekturwettbewerb vorausging, habe gezeigt, dass es im Umfeld des Eislaufvereins gar nicht in erster Linie auf die Höhe ankomme, sondern auf die urbane Qualität des Stadtraums. Außerdem sei noch nichts entschieden. Man gehe davon aus, dass die Neubaupläne letztendlich mit dem Weltkulturerbe kompatibel seien. Fertig.

Eine Einigung scheint so ausgeschlossen, es sei denn, der Investor zieht plötzlich einen komplett anderen Entwurf aus der Tasche. Das endgültige Urteil wird auf der UNESCO-Jahressitzung im Juli fallen. Was dann? Wird Wien das Weltkulturerbe aberkannt? Läuft die seit zwei Jahren währende, oft ins Hysterische ausschlagende Hochhaus-Diskussion, die Architektenschaft und Öffentlichkeit spaltet, in Endlosschleife weiter?

Vielleicht sollte man an dieser Stelle kurz durchatmen und sich zunächst in Ruhe ein paar Fragen stellen. Zum Beispiel diese: Was würde passieren, wenn Wiens Innenstadt nicht mehr Weltkulturerbe wäre? Würden die Touristen ausbleiben? Eher nicht. Würde die Wiener Innenstadt zerstört werden? Das kommt darauf an, welche Grenzen die Stadtregierung setzt. Das kann sie auch ohne die UNESCO.

Nächste Frage: Hat die UNESCO immer recht? Nein. Aber gerade von den Projektgegnern wird ihr Urteil oft als über allem stehendes deus-ex-machina-Wort behandelt, mit einer quasi-katholischen Unerbittlichkeit, die sonst für päpstliche Unfehlbarkeitsdogmen reserviert ist. Könnte sichein Architekt, der sich zwei Tage auf UNESCO-Mission in Wien aufhält, in seinem Urteil möglicherweise auch irren? Ja, das wäre theoretisch möglich. Stattdessen wird die UNESCO wie eine strenge, aber weise Oma bei Streitigkeiten zur Stadtentwicklung herbeigerufen, die man eigentlich auch selbst lösen könnte. Manchmal steckt dahinter nicht mehr als der Unwille, auch nur die kleinste Veränderung in der Welt zu akzeptieren. Würden alle Bitten nach Unter-Schutz-Stellung akzeptiert, droht das Museumsdorf, die komplette Verkäseglockung.

Die Canaletto-Frage: Wird der Blick vom Belvedere, einer der wesentlichen Aspekte des Schutzgutes Wiener Innenstadt, wirklich irreversibel geschädigt? Na ja. Canalettos Momentaufnahme von 1760 hat ihre Deckungsgleichheit mit der Realität nicht erst gestern verloren. Hätte es 1934 schon ein Weltkulturerbe gegeben, wäre das Hochhaus Herrengasse wohl in Grund und Boden verdammt worden. Zahlreiche Türme und das Konglomerat um Hilton-Hotel, Wien Mitte und Justiztower, mit enormer Kubatur und fragwürdiger architektonischer Qualität, drängeln sich heute in den Blickwinkel. Das soll nicht heißen, dass "eh schon alles wurscht" ist. Sondern, dass ein Gemälde vielleicht nicht der ideale Urmeter für urbane Veränderung ist.

Die Architekten-Frage: Ist er schuld am Hochhaus-Dilemma? Nein. Viele beschimpfen Isay Weinfelds kubischen Turm als banal. Man muss ihn in seiner spröd-eleganten Aneignung der alten Intercont-Optik nicht mögen. Aber hätten die anderen Einsendungen im Wettbewerb die Gnade der UNESCO gefunden? Die Wolkenbügel, die wild tanzenden Formen? Wohl kaum.

Hat die UNESCO also unrecht? Oh nein. Denn sie kritisiert in ihrem Bericht nicht nur das Intercont-Projekt, sondern auch den Masterplan Glacis und Hochhauskonzept, beide 2014 vom Wiener Gemeinderat beschlossen. Dass letzteres gar keine Ausschlusszonen für Hochhäuser vorsieht und keine konkreten Kontrollmechanismen für solche Projekte vorsieht, wird "mit großer Sorge" betrachtet. Hier trifft die Kritik ins Schwarze. Denn zwar können Hochhäuser in Wien jetzt nur noch errichtet werden, wenn ein Mehrwert für die Allgemeinheit nachgewiesen wird, doch wie dieser Mehrwert bemessen wird, ist eine Einzelfallentscheidung. Letztendlich sind es Dokumente eines "Schaun-mer-mal"-Urbanismus. Dass muss nicht sein, wie der Blick auf amerikanische Großstädte zeigt. Diese setzen Hochhausinvestoren weit striktere Grenzen.

Apropos Investor! Ist er vielleicht der Bösewicht? Nein. Denn ein Investor tut, was ein Investor eben tut, im Rahmen der Grenzen, die ihm gesetzt werden. Nur müssen diese Grenzen eben auch gesetzt werden.

Die wichtigste Frage: Was will die Stadt Wien? Das würde man wirklich gerne wissen. Es scheint, die Stadt würde gar nicht so gerne überhaupt etwas wollen. Aber Stadtplanung zu betreiben in der Hoffnung, dabei niemandem wehzutun, ist ein Irrglaube. Stadtplanung kann Grenzen setzen. Über diese Grenzen kann man dann diskutieren. Das geht auch ohne Weltkulturerbe.

 

 

Erschienen in: 
Falter 14/2016, 6.4.2016