Aufstellen statt abstellen!

Der Parkplatz am Naschmarkt ist eine prädestinierte Bühne für die Stadt. Diesen Sommer macht das junge Team Wien den Platz zum Park und denkt die Zukunft der Arbeit neu.

Parkplätze sind keine schönen Orte, darüber dürfte Einigkeit bestehen. Es sind ja nicht einmal Plätze. Die Tatsache, dass man wertvollen öffentlichen Raum jahrzehntelang keinem anderen Zweck widmet, als dass Privatleute dort ihre Privatgegenstände abstellen, werden zukünftige Generationen vermutlich kopfschüttelnd als seltsamen Irrweg der Zivilsationsgeschichte beurteilen. Niemand stellt seine Wandschränke, Sofas und Waschmaschinen einfach auf die Straße. Autos schon. Warum sollte das normal sein? Eben.

So weit, so unstrittig. Andererseits: Steht man am Parkplatz hinter dem Naschmarkt zwischen den Wienzeilen, wenn er am Wochenende nur spärlich gefüllt ist, wenn vielleicht sogar die Sonne hinter der U4 untergeht, denkt man nicht primär an Zivilisationskritik, sondern ans Aufatmen. Im dicht bebauten Wien, in dem jede Verkehrsinsel von Dutzenden Magistratsabteilungen beplant, reguliert, möbliert und gepflegt wird, vermittelt ein Ort, der einfach nur leer ist, ein seltenes Gefühl der Freiheit.

Nun sind Parkplätze, das weiß man nicht erst seit den endlosen Parkpickerl- und Mahü-Streitereien, ein beliebter Zankapfel der Wiener Stadtpolitik und der Bürger. Trotzdem üben die Asphaltflächen einen Magnetismus auf viele Planer aus. 2013 rief das Urbanize-Festival unter dem Motto Park! Platz! Play! dazu auf, Ideen für die Umnutzung von Parkplätzen in Wien zu liefern. Auf der Asphalt-Brachfläche neben der Tangente in St.Marx wiederum ist seit 2015 das Mobile Stadtlabor der TU Wien stationiert und tüftelt an der Zukunft der Stadt.

Und auch auf dem Parkplatz hinter dem Naschmarkt, dort wo der samstägliche Flohmarkt informell ausfranst, tut sich in diesem Sommer etwas. Ein Feld wird abgesteckt, Holzlatten liegen bereit. Doch hier wird ausnahmsweise nicht eines der in Wien üblichen aus Fertigteilbuden zusammengezimmerten, limonadengesponsorten Kommerz- und Ramschbudenfestivals vorbereitet. Das Projekt, das hier entsteht, heißt schlicht PARK und will den Stadtraum neu denken und neu benutzen. Dirksussionen, Workshops, Reparaturwerkstätten, Kino und Musik, eine lange Essenstafel, ein Symposium, und das alles frei zugänglich in und um fünf pavillon-artige Holzbauten. Keine Bobo-Lounge, sondern ein Zukunftslabor. Initiiert wird PARK vom "Team Wien", einem Zusammenschluss junger Kreativer.

"Wir öffnen eine wertvolle Raumressource für nichtkommerzielle Zwecke," erklärt Team-Wien-Mitglied Mark Neuner vom Architektur- und Designbüro mostlikely. "Wir führen damit auch die Tradition des Marktes fort, der ja immer schon auch ein Markt der Ideen war." Die Ideologie der Idee ist der Gedanke des urban common, zu deutsch Gemeingut oder Allmende. Dieser Begriff, der ursprünglich aus der Landwirtschaft stammt, wurde Anfang des 20.Jahrhunderts von der amerikanischen Politologin Elinor Ostrom im Sinne von gemeinsamen Ressourcen neu interpretiert und wird von heutigen Architekturtheoretikern wie dem Belgier Tom Avermaete auf die Stadt und ihre Räume ausgedehnt. Ein Paradebeispiel dafür: Das Projekt Luchtsingel in Rotterdam, hier gelang es einer breiten Bewegung aus Planern und Bürgern gemeinsam mit der Stadt, auf einem seit der Finanzkrise brachliegenden Innenstadt-Areal einen öffentlichen Weg einzurichten, der mehrere Stadtviertel verbindet. Noch dazu sieht die 390 Meter lange knallgelbe Holzschlange auch ziemlich gut aus.

Auch am Naschmarkt soll der Gedanke des urban common im Spätsommer 2017 experimentell durchexerziert werden. Im August wird aufgebaut und informiert, das eigentliche Programm findet über drei Wochen im September statt. Am Ende wird die Rauminstallation ganz nachhaltig in ihre Teile zerlegt, zu Möbeln umgebaut, und diese dann verkauft. Zur Teilnahme am Programm ist jeder aufgerufen, insbesondere Initiativen, Start-Ups und Kleinstunternehmer. Dieser ökonomische Open-Source-Ansatz ist kein Zufall, schließlich ist PARK eines der Stadtraum-Projekte der zur Zeit am Wiener MAK laufenden Biennale unter dem Motto "Neue Arbeit. Neues Design". Auch den Architekten selbst darf man bei der Arbeit zuschauen; das Team Wien wird seine Besprechungen gleich vor Ort im Holzpavillon durchführen. Transparenz statt Elfenbeinturm.

Kein künstlerischer Ego-Geniestreich also, sondern ein kollaborativer Workshop mit offenem Ende, der an die kontrollierten Mitmach-Projekte des zur Zeit im Wiener Architekturzentrum ausgestellten Londoner Kollektivs Assemble erinnert, dessen interdisziplinäre Mitglieder ebenfalls alle um die 30 sind. Die Umsetzung eines solchen, mit vielen Unbekannten in der Gleichung ausgestatteten Unternehmens geriet zum Kraftakt. Das Unfertige und Provisorische hat es in Wien schließlich noch nie leicht gehabt, wo die schöne Kulisse schon immer populärer war als die Konstruktion dahinter.

"Die Frage, wie man einen sozial aktiven Raum erklärt und kommuniziert, hat uns intensiv beschäftigt", erzählt Gregorio Santamaria Lubroth vom Architekturbüro Tzou Lubroth, und ebenfalls Team-Wien-Kernmitglied. Nicht jede kulturfördernde Institution lässt sich gerne auf etwas ein, dessen Ergebnis nicht von vornherein feststeht.  Auch die Planung des so einfach scheinenden temporären Ensembles aus wenigen Holzbau-Leichtkonstruktionen war schwerer als gedacht. Nur eine kleine Auswahl der magistralen Vorschriften: Zuerst war ein Bauzaun vorgeschrieben, dann wieder nicht. Für Veranstaltungen müssen Lautstärkemessungen durchgeführt werden, für Kinovorführungen sichergestellt werden, dass kein Anrainer auf die Leinwand spähen kann, es könnte ja der Jugendschutz gefährdet sein.

"Wir haben für die Einreichungen mit ungefähr 10 Magistratsabteilungen zu tun", seufzt Mark Neuner. Diese seien in der Regel zwar freundlich und kooperativ, jedoch lasse sich die Flut an Normen und Gesetzen nur bewältigen, wenn man geballtes architektonisches Fachwissen mitbringe. "Für andere Initiativen, die den öffentlichen Raum nutzen wollen, ist das schier unmöglich", so Neuner. "Hier muss dringend etwas geändert werden. Vor allem Projekte, die dem Gemeinwohl dienen, sollten doch eigentlich gefördert werden."

Dies nicht zuletzt, weil sich die Stadt Wien beim öffentlichen Freiraum selbst hehre Ziele gesetzt hat. Schon 2008 präsentiert man das Leitbild "öffentlicher Raum", wenige Jahre später das Fachkonzept Öffentlicher Raum im Stadtentwicklungsplan (STEP) 2025. "Schon jetzt stellt das Einbeziehen der Bedürfnisse der Bevölkerung einen zentralen Punkt der Gestaltungsmaßnahmen dar", heißt es da, vom Ausgleich zwischen kommerziellen und konsumfreien Angeboten ist die Rede. Seit 2014 gibt es das von der Stadt Wien gestartete Aktionsprogramm Grätzloase, die sogenannte "Parklets" fördert, viele davon auf Parkplätzen.

Das Besetzen des Freiraums ist nicht neu: 2010 machten die Gehsteig-Guerrilleros die Stadt zum Wohnzimmer, die Architektin Gabu Heindl verlieh den Wiener Festwochen vor dem Künstlerhaus ein in den Stadtraum ausgreifendes, einladendes Holz-Möbel, und in der Luftbadgasse in Mariahilf ist zur Zeit ein von Architekturstudenten entworfenes Outdoor-Möbel zu bewohnen.

Ist der Park am Naschmarkt also nur eine etwas größer geratene Grätzeloase? Definitiv nicht, so die Mitglieder des Team Wien. Denn diese sehen die Aktion nur als Teil eines breiter angelegten Neu-Denkens ihres eigenen Berufs. "Als Architekten investieren wir enorm viel Zeit und Geld in Wettbewerbe", erklärt Gregorio Lubroth. "Für kleinere Büros ist das kaum leistbar." Die Lösung: Kooperation statt Konkurrenz. Zwingt einen das System zur Spezialisierung, weil der Architekt als Gesamtkünstler heute nicht mehr überleben kann, bündelt man dieses Spezialwissen eben. "Dieses System funktioniert nicht mehr. Wir wollen weg vom Diktat des Gewinnen-oder-Verlieren", fügt Mark Neuner hinzu. "Außerdem macht Kooperation einfach mehr Spaß."

Die von Standesregeln strikt abgesteckten Grenzen ihres Berufs sehen die Jungarchitekten nicht mehr so eng wie ihre Vorgänger. Mark Neuner bekräftigt: " Die Ressource Arbeit ist endenwollend, es wird in Zukunft nicht jeder einen Vollzeitjob haben. Das heißt, die Leute haben Zeit für kreative Tätigkeiten." Klingt das nicht ein wenig nach ungelenken Aquarelle aus dem Volkshochschulkurs? Nein, so sei es nicht gemeint, lacht Neuner. "Vielleicht ist kreativ auch das falsche Wort dafür."

Das junge Team ist nicht die erste Architektengeneration, die sich den Freiraum am Naschmarkt als Bühne für ihre Rolle in der Gesellschaft reklamiert. In der Nachkriegszeit waren es die Funktionalisten und ihre großen Pläne für eine Stadtneuordnung. Die 1959 von Chefstadtplaner Roland Rainer konzipierte "Wiental-Expressstraße", im Volksmund Naschmarkt-Autobahn, sollte ungehindert von der Westeinfahrt zum Karlsplatz durchrauschen. Wo heute Parkplatz ist, hätte eine Betonschneise den 4. vom 6. Bezirk getrennt. Noch 1974 erwogen die Stadtplaner, den Naschmarkt auf eine Plattform über dieser Straße zu verlegen. Kurz darauf wanderten die Pläne für immer in die Schublade. Das weltweite Umdenken nach der Ölkrise 1973 hatte zu einem neuen, auf menschenfreundliche Urbanität und Bewahren setzenden Blick auf die Stadt geführt. Die Zeit der megalomanen Stadtautobahnen war ebenso vorbei wie die des schrankenlosen technologiebegeisterten Zukunftsoptimismus.

Bahn frei also für die nächste Generation. ersten Proponenten der Kritik am Funktionalismus begannen sich sofort, für das durch die beerdigten Planungen entstandene Vakuum am Ende des Naschmarkts zu interessieren. Im Jahrhundertsommer 1976 erklärte das Festival "Supersommer" den Naschmarkt zur "offenen Szene". Die junge Wiener Architektur-Avantgarde nahm die Lücke im Stadtplanungsgefüge mit Verve in Besitz. Die Gruppe Missing Link (Angela Hareiter, Otto Kapfinger und Adolf Krischanitz) stellte ein 5 Meter hohes "Hutobjekt" auf, das in Form und Inhalt an die Geschichte der Wiener Obdachlosen um 1900 erinnern sollte. Der Bildhauer Roland Göschl installierte ein primärfarbenbuntes Mauereckmonument (das bis 1980 stehen bleiben sollte), und die wilden Architekturprovokateure Coop Himmelblau errichteten vier 13 Meter hohe Gerüste, zwischen denen sie eine 17 mal 17 Meter große "Wolkenkulisse" aufspannten. Aufforderungen zum Mitmachen und Feiern ergingen an die Öffentlichkeit. Heute würde man diese Aktion mit dem gut abgegriffenen Label "urbane Intervention" bezeichnen. Ein Jahr später, 1977, fand der Flohmarkt auf dem Freiraum sein Zuhause, und das bis heute.

Die Architektengeneration der damals um die 35-jährigen ist inzwischen zu Big Playern des Bauens geworden, das Spielerisch-Partizipative hat sich in computerunterstützte Formfindungen kristallisiert. Die Wolkenkulissen-Ideen von Coop Himmelblau (heute Coop Himmelb(l)au) dienen inzwischen der Europäischen Zentralbank in Frankfurt als Corporate Identity. Die darauffolgende Generation, die heute um die 50-jährigen, stellt die treibende Kraft im Wiener Wohnbau. Die heute 35-jährigen kehren nun zum Naschmarkt zurück. Spaß machen darf und soll es zwar auch heute, doch die Generation des Sommers 2017 präsentiert sich ernster und realitätsnaher als ihre unbekümmert aktionistischen Vorgänger aus dem Sommer 1976. Es ist eben nicht mehr alles super. "Jede Architektengeneration hat ihre Themen," so Mark Neuner. "Früher hieß es: Architektur muss brennen. Heute brennt die ganze Welt."

Wer sich also in diesem Spätsommer zum Naschmarkt aufmacht, darf nicht nur trinken, schauen, werkeln und diskutieren, sondern kann auch einer möglichen Zukunft der Architektur beim Entstehen zuschauen. Und wer sich nach der asphaltierten Leere über dem Wienfluss zurücksehnt, hat ab Oktober wieder den Blick frei. Oder kann sich schon die nächste Intervention auf der urbanen Tabula Rasa überlegen. Es muss ja nicht wieder 41 Jahre dauern.

 

Erschienen in: 
Falter 30/2017, 26.7.2017