Bauen für die Ewigkeit

Wer baut eigentlich heute noch Kirchen? Und warum liebt Gott den Beton? Ein Gotteshaus in Wien und ein Dokumentarfilm über eine Kölner Architektendynastie geben Antworten

Fragt man Architekten nach ihrer Traum-Bauaufgabe, ist die häufigste Antwort neben "ein Museum!" und "Alle Bauaufgaben sind ein Traum!" vor allem ein meist versonnen vorgebrachtes: "Eine Kirche." Mag der Architekt selbst noch so atheistisch sein, Kirchen sind die kostbaren Exoten unter den Gattungen des Bauens. Hier darf der Planer mit Licht, Raum, und Material endlich tun, was er schon immer wollte, frei von peniblen Zwängen. Die Liturgie kennt keine ÖNORM.

So edel der Kirchenbau sein mag, so selten kommt er in Zeiten des konfessionsübergreifenden Mitgliederschwunds vor. Die letzte große Ausnahme in unseren Breiten verdankte sich einer Katastrophe: Das erzkatholische Köln war 1945 nahezu komplett zerstört, inklusive aller Kirchen der Innenstadt mit Ausnahme des Doms. So wurde die Rhein-Metropole in der Nachkriegszeit zum Eldorado des sakralen Bauens, dank Architekten wie Emil Steffann und Rudolf Schwarz. Ersterer mit Ziegeln, Letzterer mit sparsamem weißem Putz oder auch, bei seinem einzigen Bau in Österreich, der Pfarrkirche St. Florian in Wien-Margareten, mit Beton.

Der berühmteste unter den Kölner Kirchenbauern jedoch ist zweifellos Gottfried Böhm. Der bisher einzige deutsche Pritzker-Preisträger, Sohn des Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm, begann seine Laufbahn mit der Kapelle "Madonna in den Trümmern" in der kriegszerstörten Kirche St. Kolumba und wurde später durch seine expressiven, bildhauerisch-wuchtigen Sichtbetonbauten wie den Wallfahrtsdom in Neviges berühmt.

Am 25. Jänner feierte der immer noch aktive Böhm seinen 95. Geburtstag. Ihm und seiner Dynastie wurde jetzt ein Dokumentarfilm gewidmet. Deren Titel "Die Böhms - Architektur einer Familie" ist durchaus mehrdeutig zu verstehen. Das Werk des 27-jährigen deutsch-schweizerischen Regisseurs Maurizius Staerkle-Drux widmet sich vor allem den persönlichen Beziehungen zwischen Böhm, seiner Gattin Elisabeth und seinen drei Söhnen Stephan, Peter und Paul. Allesamt Architekten - und alle unter einem Dach.

"Fasziniert hat mich am Sujet zuerst das Menschliche", sagt Staerkle-Drux, der die Familie Böhm zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet hat, zum Standard. "Die Architektur ist erst nach und nach in die Geschichte geraten. Der Film sollte auch keine Werkschau sein, das können Bücher besser."

Trennen lassen sich die beiden Bereiche ohnehin nicht bei einer Familie, in der Werk und Leben so verschmilzt. Führten Vater und Söhne bis 2001 ihr Büro noch gemeinsam, gingen sie danach vier getrennte Wege, blieben doch unter einem Dach, gleichzeitig Konkurrenten und Kollegen, die einander ständig helfen und beraten. Bis heute sitzt Gottfried Böhm täglich am Zeichentisch. Eine unerwartete Wendung nahm die Dokumentation, als Elisabeth Böhm, die ihre eigenen Architekturambitionen nicht immer freiwillig der Familie untergeordnet hatte, 2012 starb. Nach ihrem Tod verließ Gottfried Böhm den Zeichentisch, nahm sich ein Auto und besuchte, vom Regisseur begleitet, die Bauten seines Lebens noch einmal. Der Film, der Ende Jänner in die Kinos kam, wurde bereits mehrfach preisgekrönt. Aufführungen in Österreich sind laut Filmverleih in Vorbereitung.

Biblisches Brausen

Dass der seltene Exot der sakralen Architektur nicht nur in der Retrospektive existiert, zeigt ein Kirchenbau in Wien, der Ende 2014 eröffnet wurde. Versteckt in einem Villenviertel, ist in Wien-Penzing für die Neuapostolische Kirche ein Erbe der Kölner Raumkünstler entstanden. Wie es zu dem seltenen Ereignis kam? Der Vorgängerbau aus dem Jahr 1972 war sanierungsbedürftig, der Kirchenraum zu groß und unflexibel. Als sich während eines Gottesdienstes ein "biblisches Brausen" erhob und ein meterlanger alttestamentarischer Riss durch die Ziegelsteine fuhr, war der Fingerzeig für die Gemeinde klar: Ein Neubau musste her. Da die Kirche keine Steuern erhebt, wurde dieser komplett aus Spenden finanziert.

Den geladenen Wettbewerb gewannen Veit Aschenbrenner Architekten, die ihre eigene Erfahrung mitbrachten: Architekt Oliver Aschenbrenner war schon im Büro von Heinz Tesar an dessen katholischer Kirche in der Donau-City beteiligt. "Der Kirchenbau ist eine der schönsten Aufgaben überhaupt", bekräftigt Aschenbrenner in tiefster Überzeugung. Das merkt man dem fertigen Bau an: Das Spiel mit Licht und Raum funktioniert auch, wenn es wie hier in kleinem Maßstab daherkommt.

Zur Straße hin ein an zwei Seiten fensterloses Ensemble aus Sichtbeton, wirkt der Neubau im Inneren erstaunlich hell und schafft es durch geschickte Raumstaffelung, viel größer zu wirken als von außen. Barocke Opulenz sucht man vergebens, das würde auch nicht passen, sagt Walter Hessler, Sprecher der Neuapostolischen Kirche. "Wir orientieren uns an der Urkirche, und die zurückgenommene Optik der Architektur entspricht der Liturgie."

Petrus in Penzing

Biblisch auch der Beton: Die Idee dafür kam den Architekten, als sie noch während der Wettbewerbsphase einen Gottesdienst besuchten. Als der "Fels, auf dem ich meine Kirche baue", wird Petrus in Penzing zu Stein in Form von grobporigem Dämmbeton, dessen bauphysikalisch "unsaubere" Optik durchaus gewollt ist: "Es hat dadurch etwas Gewachsenes, Geologisches", sagt Oliver Aschenbrenner. Mit wenigen, aber präzise verarbeiteten Mitteln - Beton, Holz, und versiegelter Estrichboden - schafften die Architekten ein edel-stilles Interieur, fern von katholischer Frontalüberwältigung. So familiär geht es hier zu, dass dem Hauptraum sogar ein Eltern- und Kinderzimmer in einer verglasten Loge mit Blick in den Kirchenraum beigefügt ist - so lässt sich störungsfrei unten im Stillen beten und oben beim Stillen beten.

Im Hauptraum endet die Bescheidenheit: Hinter dem Altar ragt eine über zehn Meter hohe fugenlose Betonwand auf, von oben mal sanft, mal schlagschattig beleuchtet, je nach Wetter und Gotteslaune. Darunter ein Altar im gleichen Material wie der Boden, eine Art Fels im Fels. Zwar war der Beton in der Gemeinde nicht umstritten, sagt Walter Hessler, heute fühlt man sich hier aber schon sehr zu Hause. Die Betonwand sei großartig, habe ihm eine ältere Dame bei der Eröffnung zugeraunt, sagt Oliver Aschenbrenner. Denn man fühle sich dadurch "wie in den Bergen". Und somit zwischen Wiental und Gott schon auf halber Strecke.

 

 

 

Erschienen in: 
Der Standard, 7./8.3.2015