Für eine Handvoll Blattgold

Die Sofiensäle leben wieder: Das Alte wurde synergetisch aufgewogen durch einen Neubau, der dagegen eher alt aussieht

Es war eine Gesellschaft, die man sonst an diesem Ort selten antrifft: Was am Montagabend in der Marxergasse im 3. Bezirk opernhaft betucht den Taxis entstieg, war von eher erstbezirklicher und döblingesker Anmutung, in einer Gegend, in die sich sonst außer den Bewohnern gerade mal Hundertwasser-Touristen verirren. Die Wiedereröffnung der Sofiensäle verdiente es in der Tat, das zu oft verwendete Beiwort "feierlich".

Eine Feier, die wohl die meisten Gäste vor kurzem für unwahrscheinlich gehalten hatten. "Noch vor drei Jahren hätte niemand daran geglaubt, dass das möglich ist", so beschrieb es Projektentwickler Erwin Soravia. Exakt zwei Jahre ist es her, dass mit der Restaurierung des Veranstaltungssaals begonnen wurde. Mehr als zehn Jahre war dieser damals schon als dachlose Ruine dem Zahn von Zeit und Witterung ausgesetzt gewesen, nach dem verheerenden Brand im August 2001.

"Die letzten Monate waren absolut herausfordernd", so Oliver Schreiber vom Denkmalamt bei der Eröffnung. "Es ist nicht gerade alltäglich, ein Objekt in diesem Ausmaß partiell zu rekonstruieren." Die Erleichterung über das Happy End eines langen, zähen Ringens war ihm anzumerken. Kein Wunder: Denn in den langen, von Gleichgültigkeit, Vernachlässigung und Rat- und Tatenlosigkeit geprägten Leidensjahren des geschichtsträchtigen Etablissements war es vor allem das Denkmalamt gewesen, das die "Sofie" mit regelmäßigen Appellen aus dem scheinbar in alle Ewigkeit verlängerten Nahtoderlebnis befreit hatte.

Dabei ist es weniger die Einzigartigkeit der Bausubstanz der Logen, Balkone und Pilaster, die nun in blattgoldverzierter Pracht wiederauferstanden sind, die die Sofiensäle so schützenswert machte, sondern die kumulierte Ereignisdichte aus 163 Jahren, die selbst für das vergangenheitssatte Wien ungewöhnlich ist. Die Namen Johann Strauß, Arthur Schnitzler, Karl May, Heinrich Himmler, Bruno Kreisky, Willy Brandt und Drahdiwaberl seien hier nur als willkürlicher Auszug genannt.

Auch eine Expertise des Architekten Manfred Wehdorn, der auch für die Wiedererrichtung der 1992 ebenfalls durch Brand zerstörten Redoutensäle der Hofburg verantwortlich zeichnete, attestierte den Sofiensälen 2002 vorrangig kulturelle und weniger baukünstlerische Werte. Anders als die höfischen Redoutensäle seien die vorstädtischen Sofiensäle seit je ein Rahmen für die Selbstdarstellung des Bürgertums gewesen. Dennoch war es die bauliche Raffinesse, die den 2700 Personen fassenden Saal so beliebt machte: 1838 als "Sofienbad" errichtet, wurde es 1848 von den späteren Architekten der Hofburg, August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, ausgebaut, weitere Umbauten folgten 1870 und 1899 mit der repräsentativen Straßenfassade. Im Inneren war der Bau mit dem temporär abgedeckten Schwimmbecken ein so simpler wie intelligenter Multifunktionssaal mit oft gerühmter Akustik.

All dies endete am 16. August 2001, als der Saal nach Flämmarbeiten am Dach niederbrannte. Schon drei Wochen später stellten die Eigentümer, die Sofiensäle AG des Baumeisters Julius Eberhardt, den Antrag auf Aufhebung des seit 1986 bestehenden Denkmalschutzes.

"Wohnungen sind ein Muss"

Das Bundesdenkmalamt wies den Antrag zurück, die Eigentümer verharrten in demonstrativem Abwarten, unterbrochen durch Beseitigung der nicht denkmalgeschützten Teile des Baus. "Die Ruine bleibt so stehen, wie sie ist. Sie ist dem Zahn der Zeit ausgesetzt, wie es einer Ruine zusteht. Und wenn nicht eine vernünftige Lösung zustande kommt, wird sie irgendwann zusammenfallen", verkündete Eigentümervertreter Karl Pistotnik im Jahre 2004. Ein städtebaulicher Wettbewerb mit fünf geladenen Architekten brachte zwar Ideen und eine Änderung der Flächenwidmung, doch keinen Investor. Neben dem Denkmalamt schien sich nur noch eine Bürgerinitiative für das Gemäuer zu engagieren.

Dies schien sich 2006 mit dem Kauf des Grundstücks durch die (teils stadteigene) ARWAG zu ändern, doch es folgten noch weitere Jahre Tatenlosigkeit, garniert mit abwechselnden Absichts- und Armutserklärungen. Mal sollte ein Hotel errichtet werden, dann Hotels und Wohnungen, auch universitäre Nutzungen wurden angedacht. Ein manifester Wille oder gar Plan war jedoch nicht zu erkennen. 2010 erwarb die IFA AG, eine Tochter der Soravia Group, das Gelände, die Hotelpläne wurden begraben, stattdessen sollten nur Wohnungen um den restaurierten Saal gruppiert werden. Von 22 Millionen Euro Kosten war die Rede, nach Abschluss der Arbeiten sind es nun 50 Millionen. 109 Einzelinvestoren waren am Bauherrenmodell beteiligt, das die Realisierung möglich machte. 47 geförderte und 21 frei finanzierte Wohnungen wurden von Architekt Albert Wimmer errichtet.

"Wohnungen sind ein Muss, um den Standort zu beleben", erklärte Erwin Soravia. Hier das Investitionswagnis Sofiensaal, auf der anderen Seite der Wohnbau als sichere Anlage: Das Betongold wiegt das Blattgold auf. An einem Bauplatz mitten im Wohngebiet ist das durchaus sinnvoll, und doch: Betrachtet man die Volumen, die sich beidseits des Saales und straßenseitig auch darüber aufschichten, erinnert dies unweigerlich an die hinter die Spähscharten des Wiener Gasometers geschichteten Wohntorten: sozialer Wohnbau als universale Wiener Verfügungsmasse, die sich unterscheidungslos in jedes beliebige Volumen füllen lässt.

Gehäuse für Erinnerungen

Zumindest scheint die Fassade, die mit ihren Loggien eine steinern-massive quasi Pariser Großbürgerlichkeit ausstrahlen soll, die von den Grundrissen dahinter aber nicht eingelöst wird und hofseits in eine standardisierte Stapelung mündet, zu suggerieren, dass die Symbiose zwischen Alt und Neu in erster Linie eine finanzielle war. Formal ist vom großzügigen Bürger-Glamour des Saales nichts in den Wohnbau hineindiffundiert.

Und der Saal selbst? Manche der ersten Besucher fühlten sich bei der Eröffnung an die weiß-goldene Grellheit neureich-russischer Oligarcheninterieurs erinnert, doch dies war vielleicht nur der Festbeleuchtung geschuldet. Oliver Schreiber vom Denkmalamt war stolz auf die Wiederbelebung in Stuck und Gold: "Die Stukkaturen waren stark beschädigt und verwittert. Zu Projektbeginn waren noch etwa 50 Prozent des Bestandes vorhanden." Die auffälligste und angesichts der Projektgeschichte nicht unironische Manifestation der Gegenwart sind die dunklen, überbreiten Rahmen der Türen und Fenster zwischen Saal und Foyer: Deutlicher kann ein Baudetail kaum "Brandschutz!" rufen. So wirkt jetzt paradoxerweise das ursprünglich Alte - der Saal - brandneu und das Neue - der Wohnbau - vergleichsweise brav. Vielleicht wird sich das über die Jahre nivellieren. Angesichts der schon mehrmals mit letzten Ölungen versehenen Ruine ist jedoch das unverhofft Gerettete und Rekonstruierte schon der größte Wert. Und sei es nur als Gehäuse für Wiener Erinnerungen.

Erschienen in: 
Der Standard, 7./8.12.2013