Kollision mit Ansage

Der Wettbewerb für das Heumarkt-Areal war mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet. Heute herrscht Katerstimmung. War das Verfahren also doch keine gute Idee? Eine Chronologie der Ereignisse.

Die Geschichte der Architekturwettbewerbe ist eine Geschichte der Kompromisse. In Wien lässt sich das an einer Fülle von Paradebeispielen nachweisen. Da wäre zum einen das jahrelange Hickhack um die Überbauung des Bahnhofs Wien-Mitte. Streit ums Weltkulturerbe, Architektenwechsel, Bürgerproteste, Hochhausdebatte, und ein Ergebnis, von dem niemand begeistert war. Oder das Museumsquartier: Der große Erfolg des MQ-Hofes lässt leicht übersehen, dass das Ensemble architektonisch eine Mißgeburt ist. Nach Denkmalschutzdebatten und polemischen Kampagnen des Boulevards wurde am Entwurf so lange gedrückt und gezerrt, bis die beiden Museumskuben aus der Stadtsilhouette hinauserniedrigt waren. Seitdem quält sich das Mumok mit viel zu engen Räumen, die Kunsthalle dämmert unsichtbar hinter der Schnörkelfassade der Winterreithalle dahin und ist nur durch ein absurdes Labyrinth erreichbar.

Dabei ist die Aufgabe von Wettbewerben denkbar einfach: Das bestmögliche Ergebnis für eine Bauaufgabe zu finden. Das funktioniert am besten, wenn die Ausschreibung so präzise wie möglich ist. Nur dann wissen die Architekten, was zu tun ist, und die Wettbewerbsjury, nach welchen Kriterien sie bewerten muss. Dass diese einfache Wahrheit immer wieder mißverstanden wird, zeigte die Debatte, die die Äußerungen von Umweltstadträtin Ulli Sima vor wenigen Wochen auslösten, sie habe den Wettbewerb für die MA48-Zentrale abgewürgt, weil die Jury den falschen Beitrag preisgekrönt hatte. Der Wettbewerb am Heumarkt schien dagegen auf den ersten Blick vorbildhaft. Ein mehrstufiger Findungsprozess mit einem neuartigen städtebaulichen Verfahren, in das Experten, Anrainer und Nutzer eingebunden waren, ein Architekturwettbewerb mit 12 gesetzten und 12 durch Bewerbungsverfahren ausgewählten internationalen Büros, 324.000 Euro Preisgeld und eine für Wiener Verhältnisse transparente Informationspolitik.

Trotzdem ist heute, fast drei Jahre nach Verkündung des Ergebnisses und mehrere "Nachdenkpausen" und Überarbeitungen später, niemand wirklich zufrieden. War der Wettbewerb also doch nicht so vorbildhaft? Die Chronologie der Ereignisse im Schnelldurchlauf: Nach dem bekannterweise günstigen Erwerb des Grundstücks startete die Wertinvest 2012 gemeinsam mit der Stadt ein städtebauliches Expertenverfahren, was damals von nahezu allen begrüßt wurde. Drei Planungsteams sollten aus den Wünschen aller Beteiligten mehrere Bebauungsszenarien entwickeln, Bürgerbefragung inklusive. Ergebnis: Die Szenarien (darunter einige mit Hochhausbebauung) wurden am Ende zu einem Gesamtkonzept vereinigt, von dem einige Beteiligte sich distanzierten. Die Bürgerbefragung ergab eine Ablehnung des Hochhauses, und man hörte danach nichts mehr von ihr. Als das Verfahren im Februar 2013 präsentiert wurde, bemängelte die ÖGFA (Österreichische Gesellschaft für Architektur), dass Mitglieder des Wiener Fachbeirats für Stadtplanung, der über die Flächenwidmung mitentscheidet, gleichzeitig Mitglieder der Planungsteams waren. Zur Frage des Weltkulturerbes hieß es bei der Stadt, diese sei "Gegenstand von Erörterungen". Sobald es eine Einigung mit der UNESCO gebe, würde der Architekturwettbewerb ausgeschrieben.

Der eigentliche Wettbewerb startete im August 2013, jedoch ohne Einigung mit der UNESCO. Die Architektenkammer erklärte zwar ihre Kooperation - ein wesentlicher Faktor, als Warnzeichen für Architekten, und als Entscheidungsgrund, ob die Kammer Juyrmitglieder vorschlägt oder nicht - jedoch nur mit Vorbehalt: "So birgt z.B. das Fehlen klarer Angaben zur Gebäudehöhe die Gefahr in sich, dass die Höhenentwicklung einiger Wettbewerbsvorschläge nicht mit den Vorgaben der UNESCO korreliert." Der Auslober versprach, "auch die Sichtweise der UNESCO-Weltkulturerbegremien zu berücksichtigen", betonte aber: "Bezüglich der Kubatur muss im Wettbewerb eine Diskussion möglich sein." Sprich: Die 24 geladenen Büros war freigestellt, wie sie mit dem bestehenden Hotel und dem Weltkulturerbe umgehen. Angesichts der geforderten Baukubatur überraschte es nicht, dass die meisten Entwürfe in die Höhe gingen. Dass nach Bekanntgabe des Ergebnisses im Februar 2014 die Diskussionen erst richtig losgingen und bis heute anhalten, ist also nur bedingt überraschend.

Was hätte man besser machen können? Stadt und Investor hätten sich gleich zu Beginn eindeutig zum Weltkulturerbe positionieren können, anstatt das Thema mit vagen Formulierungen zu umfahren. Man hätte offensiv eine Lösung anbieten können, wie das kulturelle Erbe Innere Stadt auch ohne UNESCO-Schutzschirm erhalten werden kann, oder sich defensiv schon im Wettbewerb dem Höhendiktat fügen können. Beides hat man nicht getan, mit dem Ergebnis, dass wie schon in Wien-Mitte um beim Museumsquartier, nachträglich mit Kubaturen herumgespielt wird.

 

Erschienen in: 
Falter 51-52/2016, 21.12.2016