Von Durchbrüchen und Barrieren: Die 15.Architekturbiennale in Venedig

Österreich und Deutschland widmen sich auf der Architekturbiennale Venedig auf unterschiedliche Weise dem Thema Migration.

So viel Mut hätte man den venezianischen Denkmalschützern nicht zugetraut: Dort, wo man 78 Jahre lang auf eine Wand schaute, öffnen sich jetzt gleich mehrere breite Tore, mit Durchblicken ins grüne Gebüsch, zum Campanile von San Giorgio, zu den Nachbarn aus Korea, Frankreich und Australien. Dass ihnen der Plan, aus dem 1938 erbauten Pavillon in den Giardini gleich mehrere Wände herauszubrechen und die Ziegelsteine als Tische im Inneren aufzuschichten, tatsächlich genehmigt wurde, hatte die deutschen Kuratoren nach eigenem Bekunden selbst überrascht.

Der Mut hat sich ausgezahlt: Die physische Konfrontation mit der Bausubstanz fügt sich nahtlos in das diesjährige Motto: "Making Heimat: Germany, Arrival Country". Ein offenes Haus als Symbol für ein offenes Land. Der deutsche Beitrag zur Architekturbiennale schaltet sich bewusst und frech ins politische Tagesgeschehen ein, mit plakativen Slogans in Ein-Euro-Shop-Typografie werden 8 Thesen zur Arrival City an die Wände affiziert, die abseits aller Hysterie zeigen, wie Integration in den Städten funktionieren kann. Daneben wird eine Auswahl von Bauten für Flüchtlingsunterkünften ausgestellt, zu deren Einsendung das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt (DAM) aufgerufen hatte.

"Reporting from the Front" lautet das diesjährige Motto, unter das der chilenische Biennale-Direktor und Pritzker-Preisträger Alejandro Aravena die Biennale gestellt hat, und "Front", das heißt nicht nur im deutschen Beitrag: Flucht und Migration. Finnland stellt unter dem Motto "From Border to Home" Ideen für ein zukünftiges Zusammenleben aus, den serbischen Pavillon füllt ein knallblauer Schiffsrumpf, mit einer assoziationsreichen Rinne in der Mitte. Dort, wo man dichtgedrängte verzweifelte Flüchtlinge imaginieren kann, dürfen erschöpfte Biennale-Hipster an bereitgestellten Steckdosen ihre iPads aufladen.

Andere sahen die Front eher in der Architektur selbst, etwa Polen mit seinem überzeugenden Beitrag "Fair Building", das die unter gefährlichen und prekären Bedingungen operierenden Bauarbeiter zu Wort kommen ließ. Auch abseits der Nationenpavillons war es vor allem die handfeste Praxis des Bauens, die im Mittelpunkt stand. Kein zufälliger Gegensatz zur vorigen Biennale, auf der Rem Koolhaas unter dem Titel "Fundamentals" mit dem ihm eigenen zynisch-zugespitzten Realismus den Architekten die Erkenntnis servierte, dass sie in Zeiten globaler Konglomerate und bautechnologischer Komplettoptimierung bestenfalls noch als Fassadenbehübscher dienten.

Manch einer ist da schnell mit Attesten wie Favela-Romantik, Basteln-mit-Bambus-Architektur und Weltverbesserer-Naivität zur Stelle. Der Vorwurf der Selbsttäuschung greift aber mit sehr wenigen Ausnahmen ins Leere. Denn die Naivität ist vielmehr auf der Gegenseite zu Hause: Der im Arsenale ausgestellte Matrex-Turm in Skolkovo bei Moskau, ein verspiegeltes Matrjoschka-Monstrum, fällt mit seinem Bombast völlig aus dem Rahmen, und seine aufgeplusterte Anpreisungsrhetorik im Developer-Sprech wirkt im Kontext mit dem realitätsnahen Pragmatismus seiner Ausstellungsnachbarn vor allem: lächerlich.

Ebenso abgehoben der Beitrag der USA: Dieser stellt als Hilfe für das gebeutelte Detroit eine Reihe von millionenschweren Megaprojekten aus, deren Referenzen zu multiethnischen Stadtvierteln zum kunterbunten Kitschdekor gerinnen. Eine "Mehr hilft mehr"-Attitüde, die anachronistisch, absurd und schlicht ärgerlich ist und den Machern schon den ersten Protestbrief aus Detroit eingehandelt hat. Die Erkenntnis daraus: Die kapitalistisch unterfütterte Künstler-Architektur hat heute kaum noch etwas zur Problemlösung an der Front beizutragen.

Nach langwieriger Suche, wie Co-Kuratorin Sabine Dreher vom Büro Liquid Frontiers im Falter-Gespräch erklärt, wurden schließlich die drei Standorte im 3., 10. und 15. Bezirk gefunden, allesamt leerstehende Bürogebäude. Caramel entwarfen ein multifunktionelles Schirmmöbel, mit dem sich die nötige Privatheit herstellen lässt, EOOS schlugen gleich ihr "Field Office" vor Ort auf und entwarfen ein 18 Einzelstücke umfassendes "Social Furniture"-Set, das die Flüchtlinge Möglichkeit zum Erleben von Gemeinschaftsaktivitäten bietet, und The Next ENTERprise denken gleich das ganze städtische Umfeld der Immobilie mit. Den Architekten war die Begeisterung und Motivation anzumerken. "Wir bauen für Menschen und hätten gerne immer solche Ergebnisse," sagte Günther Katherl von Caramel. "Für uns ist wichtig, was das Thema Flüchtlinge für die Stadt bedeutet," erklärte Marie-Therese Harnoncourt von The Next ENTERprise, und Harald Gründl von EOOS ergänzte: "Wir konnten das einbringen, was wir am besten können."

Gute und wohl überlegte Ideen, doch leider sind diese in Venedig kaum zu sehen. Der lange schwere Betonbalken, der quer vor dem Pavillon steht und laut den Kuratorinnen als Tisch zur gemeinsamen Kommunikation einladen soll, wirkt eher als Barriere. Die lange Reihe aufgestapelter Poster mit Bildern, die der Fotograf Paul Kranzler vor Ort aufnahm, soll die Projekte auf emotionaler Ebene übersetzen, ist aber vor allem ein weiteres Hindernis vor dem Eigentlichen. Die Architektur selbst ist nur auf sehr kleinen Displays auf einem sehr langen Tisch im hinteren Bereich zu entdecken.

Die Schwierigkeit, einen Standort zu finden, das Thema Umnutzung leerstehender Büroimmobilien, die anfängliche Vorsicht der NGOs, die lieber gar keine PR wollen, auch keine gute: All diese Aspekte hätte man offensiv als "Report von der Front" übersetzen können. Stattdessen überwiegt der Eindruck, man habe sich vor der Kontroverse in die Kunst geflüchtet. Die handfeste Information findet sich dafür in einer Zeitung, die als "Hauptexponat" deklariert wird. Diese ist zwar mit informativen klugen Texten angefüllt und zeigt auch bereits bestehende Projekte wie das Haus vinzirast vom Büro gaupenraub, doch werden sich dies angesichts der Informationsfülle auf der Biennale wohl nur wenige Besucher durchlesen. Diese rollten routiniert die Poster mit den Fotos ein und entschwanden wieder, mit einem hübschen Bild für zu Hause, aber ohne Information. Etwas mehr Mut hätte hier gut getan.

Erschienen in: 
Falter 22/2016, 01.06.2016