Wie Einbrecher die Stadt benutzen: Interview mit Geoff Manaugh von BLDGBLOG

Der Autor und Architekturtheoretiker Geoff Manaugh hat für sein Buch "The Burglar's Guide to the City" die Verbindungen zwischen Verbrechen und Stadtraum untersucht

George Clooney, der als Meisterdieb in "Ocean's Eleven" ein Modell des Raumes baut, in dem die zu erbeutenden Kasinomillionen liegen. Sherlock Holmes, der neblige Gassen und das Themse-Ufer entlangeilt und uns so ein akkurates Bild des viktorianischen London vermittelt. Die immer wieder scheiternden Panzerknacker, die in ihrem unstillbaren Drang, Dagobert Ducks Geldspeicher zu knacken, zu ingenieurtechnischen Höchstleistungen getrieben werden: Das Handwerk der Einbrecher ist ein eng mit Architektur und Stadt verwobenes. Der Amerikaner Geoff Manaugh, Architekturtheoretiker, Autor und seit 2004 Betreiber des renommierten Blogs BLDGBLOG, hat sich für sein neustes Buch "The Burglar's Guide to the City" mit genau diesen architektonischen Aspekten der Kriminalität beschäftigt. Dem STANDARD erklärte er, wie Einbrecher räumliches Wissen für ihre Zwecke benutzen, welche Städte am besten für Tunnels geeignet sind und was Architekten davon lernen können.

Wie kommt man auf die Idee, ein Buch über die Architektur aus Sicht von Einbrechern zu schreiben?

Manaugh: Ich habe mich schon immer für Architektur außerhalb der Architektur interessiert. Das Thema Kriminalität ist besonders faszinierend, weil es zeigt, wie Gebäude anders benutzt werden. Einbrecher sind ja im Grunde Architekturtheoretiker. Sie denken darüber nach, wie man ein Haus betreten kann, indem man nicht die Tür benutzt, sondern durch Wände, Fenster oder von unten kommt. Diebstahl ist immer ein architektonisches Verbrechen.

Sie haben Exeinbrecher interviewt und waren mit Polizisten unterwegs. Wie gehen diese mit Architektur um? Reagieren sie aufeinander?

Manaugh: Ja, es ist ein klassisches Katz-und-Maus-Spiel. Die Polizei kennt die Diebstahltechniken; die Einbrecher wiederum sind einen Schritt weiter und wissen, was zu tun ist, wenn sich ein Polizeihubschrauber nähert: Sie verstecken sich in Mülltonnen. Von dort aus bohren sie dann Löcher in die Hauswand. Ich bin in Los Angeles in einem dieser Hubschrauber mitgeflogen und mir wurde klar, wie die Polizisten die Stadt sehen: Sie kennen die Verbindungen zwischen den Stadtvierteln und die bevorzugten Fluchtrouten. Sie wissen, wo die Schwachstellen von Gebäuden sind und ermahnen die Hausbesitzer, ihr Dach zu reparieren oder den Hinterhof freizuräumen. In Großbritannien wiederum ist die Polizei selbst architektonisch aktiv und errichtet seit 2007 sogenannte "capture houses", komplett eingerichtete Wohnungen, die als Fallen für Einbrecher dienen.

Sie haben Beispiele aus 2000 Jahren gesammelt: Was sind die frühesten Beispiele der Einbruchsarchitektur?

Manaugh: Ich habe mich mit dem Mechanismus von Türschlössern beschäftigt, von Mesopotamien bis zu den elektronischen Anlagen von heute. An der Art und Lage der Schließmechanismen erkennt man, wie die Zirkulation durch das Gebäude kontrolliert wird, welche Räume im Haus privat sind und geschützt werden müssen. Ein Historiker aus Cambridge erklärte mir, dass es in den Ruinen von Pompeji tiefe Gewölbe gibt, deren Wände Spuren von Einbruchsversuchen aufweisen. Im alten Rom waren die Diebe vor allem während der großen Wagenrennen aktiv, weil die Bürger alle im Zirkus waren, was wiederum dazu führte, dass speziale Polizeieinheiten eingerichtet wurden. Das heißt: Das Verbrechen beeinflusst die Funktionsweise einer Stadt.

Weltweit werden abgeschlossene Gated Communities errichtet, und auch in Wien gibt es ein Pilotprojekt unter dem Motto "Sicher wohnen". Das Thema Sicherheit ist heute aktueller denn je. Sind wir alle ängstlicher geworden?

Manaugh: Natürlich. In den USA ist das Thema seit dem 11. September sehr präsent. In New York bemerkt man dieses Upgrade an Sicherheitsmaßnahmen überall. Das Interessante ist aber, dass all diese Maßnahmen, die von Architekten und Politikern geplant werden, immer wieder entgegen ihrem Zweck benutzt werden – auf eine Art und Weise, die niemand vorhergesehen hat.

Das heißt, Einbrecher sind im Grunde kreative Antiarchitekten?

Manaugh: Viele von ihnen. Etwa der Dieb, der wertvolle Bücher aus der Universitätsbibliothek Los Angeles stahl, indem er durch nicht mehr benutzte Transportschächte kletterte. Oder der Lehrer aus Straßburg, der 2002 auf einer alten Karte des Klosters Mont Sainte-Odile in den Vogesen einen längst vergessenen Geheimgang entdeckte, der in die dortige Bibliothek mündete. Aber natürlich gibt es auch die dummen Einbrecher, die in Kaminen und Lüftungsschächten stecken bleiben und von der Feuerwehr befreit werden müssen.

Hat jede Stadt ihr eigenes "Markenprofil", was die Arten des Diebstahls betrifft?

Manaugh: Allerdings! Die Spezialität von Los Angeles sind sogenannte "stop and robs": Viele Bankfilialen liegen an Autobahnausfahrten, weil die autofahrenden Kunden so schnell etwas abheben können, was sie natürlich ebenso attraktiv für Bankräuber macht, weil diese schnell flüchten können. Auch die Geologie kommt ins Spiel: Städte mit sandigem Untergrund wie Berlin sind ideal für Tunnel, was in New York, das auf Granit gebaut ist, unmöglich ist. Miami mit seinen Luxuswohntürmen erfordert akrobatische Fähigkeiten, weil man von Balkon zu Balkon klettern muss, oder soziale Fähigkeiten, wenn man den Portier überredet, einen hineinzulassen.

Was können Architekten davon lernen? Kann man eine sichere Stadt, ein sicheres Gebäude planen?

Manaugh: Man kann natürlich Fenster und Türen sicherer machen, aber ein einbruchsicheres Haus gibt es nicht. Man könnte aber auch lernen, dass alle Menschen Räume gerne flexibel benutzen und mit ihrer Umgebung spielerisch interagieren wollen. Architekten könnten sich flexiblere Arten ausdenken, wie man von einem Raum in den anderen kommt.

"Heist Movies" sind ein klassischer Hollywood-Topos, und als Zuschauer sympathisiert man nicht selten mit den Dieben. Warum fasziniert uns das Thema so sehr?

Manaugh: Vielleicht weil es eine andere Art beschreibt, wie man mit Architektur umgehen kann. Diebe zeigen uns ungeahnte Abkürzungen durch Räume – wie in einem Computerspiel, in dem uns jemand einen geheimen Trick verrät, wie man ins nächste Level kommt. Das hat etwas Magisches, beinahe wie Science-Fiction.

Sie haben mehrere Jahre für das Buch recherchiert. Sehen Sie Städte jetzt mit anderen Augen? Stellen Sie sich manchmal vor, Sie wären Einbrecher?

Manaugh: Ich glaube nicht, dass ich auf die schiefe Bahn geraten werde! Aber mir fallen jetzt öfter kleine Details auf, die zeigen, wo Gebäude Schwachstellen haben. Und die hat jedes Gebäude, außer man befindet sich auf einer Militärbasis oder in einem Gefängnis. Wir entwerfen Architektur in dem Wissen, dass wir unseren Nachbarn in gewissem Maß vertrauen können. Unsere sozialen Konventionen sind also an den Häusern ablesbar.

Befürchten Sie, dass das Buch Ihre Leser zu einer kriminellen Karriere verführt?

Manaugh (lacht): Vielleicht schon! Aber mir würde es genügen, wenn es sie dazu bringt, mehr über die Städte nachzudenken, in denen sie leben.

In Ihrem Blog BLDGBLOG verbinden Sie Wissenschaft, Technologie und Literatur mit Geografie, Landschaft und Architektur. Was können Architekten von Science Fiction lernen?

Manaugh: Sehr viel! Ideen für neue Materialien und neue Transportmittel zum Beispiel. Aber es geht weniger darum, was die Science Fiction für sie tun kann als was sie selbst tun könnten, wenn sie ihren Job als angewandte Science Fiction verstehen. Dann würden sie herausfinden, dass es irgendwo da draußen Bauherren für Gebäude gibt, an die sie noch überhaupt nicht gedacht haben.

Sie projizieren immer wieder Zukunftsszenerien für Städte auf der Basis konkreter Erkenntnise, wie etwa der Gefahr neuer Epidemien durch den steigenden Meeresspiegel. Siend Sie Optimist oder Pessimist, was die Zukunft angeht?

Manaugh: Das ist eine sehr kuriose Frage. Ich glaube, ich bin sehr pessimistisch, was Umwelt ud Politik angeht. Da werden ganz sicher schlimme Dinge passieren. Ich bin jedoch optimistisch, was die menschliche Fähigkeit betrifft, Katastrophen zu überleben. Auf lange Sicht werden die Menschen den Klimawandel überleben können. Da ist immer noch Platz für Innovation und Imagination. Und selbst wenn die Menschheit doch aussterben sollte, werden immer noch so viele interessante Dinge passieren! Plattentektonik zum Beispiel! Man könnte also sagen: Ich bin ein posthumaner Optimist.

Geoff Manaugh lebt in New York, ist Autor mehrerer Bücher über Architektur, Landschaft und Technologie und betreibt seit 2004 den Blog BLDGBLOG.

www.burglarsguide.com

www.bldgblog.com

 

 

Erschienen in: 
Der Standard, 16.03.2016
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