"Helfen ist das Schwierigste!"

Architekt Shigeru Ban ist mit Leichtbaukonstruktionen aus Papier weltweit bekannt geworden - Wie er jetzt den Tsunami-Überlebenden hilft

 

Was hat Sie als etablierten Architekten dazu bewogen, ein Netzwerk von freiwilligen Architekten zu gründen und sich der Katastrophenhilfe zu widmen?

Shigeru Ban: Ich war von meinem Berufsbild als Architekt enttäuscht. Wir Architekten arbeiten fast immer für die Privilegierten. Sie haben Geld, Macht oder beides und beauftragen uns, ihnen Denkmäler zu bauen, die diese Macht symbolisieren. Das war schon immer so. Mein Büro tut das genauso - im Moment bauen wir zum Beispiel ein Museum. Aber ich möchte meine Erfahrung auch für die Allgemeinheit nutzen. Das ist unsere Verantwortung! Wenn eine Naturkatastrophe passiert und in kurzer Zeit Notunterkünfte benötigt werden, ist von den Architekten meistens weit und breit niemand zu sehen. Dabei könnten wir hier vieles verbessern, wenn wir helfen. Also sollten wir das tun.

Wo stehen Sie im Moment beim Wiederaufbau?

Ban: Wir haben zuerst über 1.800 Notunterkünfte für die Evakuierten in Hallen an über 50 Orten im gesamten Gebiet errichtet, mit einem einfachen Stecksystem aus Papprohren, durch das man einfach Privatheit und Sichtschutz herstellen kann. Jetzt, in der zweiten Stufe, bauen wir temporäre Wohnungen in Onagawa in der Provinz Miyagi. Das Problem ist, dass die gesamte Küste sehr felsig ist und es kaum ebene Flächen gibt, auf denen man bauen kann. Die Regierung hatte nur eingeschoßige Bauten vorgesehen, die sehr viel Fläche benötigen. Ich habe daher mehrgeschoßige Bauten aus schnell stapelbaren Containern vorgeschlagen, das ist für solche Zwecke in Japan noch nie gemacht worden.

Benötigen die Menschen nicht mehr als nur Wohncontainer, wenn sie auf unbestimmte Zeit dort wohnen müssen?

Ban: Natürlich. Sie brauchen öffentliche Räume. Die Standardhäuser haben einen Abstand von nur 3 Metern, das ist viel zu wenig, um diese Räume zu schaffen. Wir haben Abstände von 11 Metern, die wir zum Beispiel für Büchereien oder überdachte Märkte nutzen. Zurzeit suchen wir Sponsoren für ein öffentliches Bad. Die Badezimmer in den Wohnungen sind in Japan traditionell sehr klein, und auch in den Containern ist nicht viel Platz.

Für welchen Zeitraum sind die Container ausgelegt?

Ban: Das weiß noch niemand. Die Provisorien können permanent werden, das kann man nicht ausschließen. Es hängt davon ab, wie schnell die neuen Städte fertig werden. Die Notunterkünfte nach dem Beben in Kobe 1995 waren für zwei Jahre geplant, aber selbst danach hatten viele Menschen noch kein neues Zuhause.

Wo finden Sie die Freiwilligen für Ihr Netzwerk?

Ban: Es gibt keine Dauermitglieder. Ich sammle die Freiwilligen vor Ort, manchmal auch aus ganz Japan. Helfer aus dem Ausland müssten wir einfliegen lassen, und das können wir uns leider nicht leisten.

Gibt es Unterschiede, wenn Sie in China, Japan oder woanders Notunterkünfte bauen? Brauchen Japaner mehr Privatheit als andere?

Ban: Es gibt klimatische und kulturelle Unterschiede, und unterschiedliche Baumaterialien. Die Privatheit ist aber nicht das Problem - eher die veralteten Gesetze und Normen, die in Japan temporäre Bauten regeln und die seit ewiger Zeit nicht verbessert wurden. Ich hoffe, dass wir hier einen neuen Standard setzen können.

Werden Sie auch weiterhin vor Ort sein, wenn die Containerdörfer fertig sind?

Ban: Ja. In Onagawa bin ich Teil des Teams für den Masterplan für den Wiederaufbau und plane auch neue Wohnbauten. Eine der größten Aufgaben wird es sein, die Infrastruktur wieder aufzubauen.

Werden die neuen Städte am selben Ort wieder entstehen?

Ban: Nein, die meisten müssen verlegt werden, das hat die Regierung beschlossen. Letztendlich hat aber jeder Ort seinen eigenen Plan zum Wiederaufbau.

Viele Japaner haben kritisiert, dass sich die Regierung aus PR-Gründen zu stark den nuklearen Schäden in Fukushima zuwendet und die Flutopfer vernachlässigt. Stimmen Sie zu?

Ban: Das ist nicht ganz falsch. Aber sehen Sie: Nach einer Katastrophe wird immer die Regierung kritisiert. Die Politik kann nie alles richtig machen. Also müssen wir ihr helfen. Und das kann ich Ihnen sagen: Das Helfen ist die schwierigste Aufgabe von allen.

Trotz aller Schwierigkeiten: Wo werden Sie als Nächstes helfen?

Ban: Das tun wir schon. Im Moment bauen wir die beim Erdbeben zerstörte Kathedrale von Christchurch in Neuseeland wieder auf. Natürlich aus Pappe!

 

(erschienen in: Der Standard,, 10./11.3.2012)