Leichte Latten auf hartem Pflaster

Es ist an der Zeit, eine Lanze für den Beruf der Landschaftsarchitekten zu brechen: Wie kaum eine andere Berufsgruppe wird ihre Existenz oft und gerne verschwiegen, dabei ist es einer der schönsten Berufe überhaupt. Auch bei der Neugestaltung der Mariahilfer Straße braucht es einiges an Detektivarbeit, bis man herausfindet, wer die Idee für die neuen Möbel hatte, die jetzt nach und nach die Fußgänger- beziehungsweise Begegnungszone befüllen. Auch auf den offiziellen Verlautbarungsseiten findet sich kein Hinweis. Fast sollte man meinen, die Stadt Wien hätte sich das alles selbst ausgedacht.

Dabei handelt es sich bei den Planern nicht um Unbekannte. Bureau B+B heißt das Unternehmen aus Amsterdam, das – gemeinsam mit dem Büro Orso.Pitro – 2013 den Wettbewerb für die neue Mariahilfer Straße gewann. Die Leute vom Bureau B+B zählen in Holland zu den angesehensten und erfahrensten Landschaftsarchitekten und haben zahlreiche Plätze, Straßen und Parks gestaltet.

Die Idee für die Mahü: kompakte, flexible „Stadtmöbel“, inselartig im Straßenraum verteilt. Ein so einfaches wie bewährtes Rezept. Denn eine Straße wie die Mariahilfer lässt kaum Platz für großmaßstäbliches Design. Auch ohne Autoverkehr soll und muss sie vor allem eines sein: leer. Damit Platz ist für die Einkaufs-, Pardon: Flaniermeute, die eine oder andere Demo, die vielen geplanten Schanigärten und die Glühweinslums der jetzt wieder offenbar unentbehrlichen Punschhütten. Denn eines ist klar: Der dem Verkehr abgerungene Platz auf 432 Laufmetern Fuzo und 1200 Lauf- und Fahrmetern Bezo wird schneller als gedacht wieder voll sein.

Das heißt: Für die Glaubwürdigkeit des grünen Leitprojekts mit 25 Millionen Euro Baukosten ist es umso wichtiger, dass in dieser Übernutzungsflut noch Inseln der Konsumfreiheit bestehen bleiben; Gratis-WLAN inklusive.

Die Stadtmöbel von B+B haben eine solide Basis aus Granit und eine gemütliche Sitzoberfläche aus Eichenholz, ausgeführt mal als Bank, mal als flache Liegelandschaft (von fünf „Lounges“ ist die Rede), mal mit kleinen, buntblättrigen Bäumen bekrönt. Zwischen den 24 „Baumgärten“ gibt es die sogenannten „Wassertische“, vier an der Zahl, als modernen Brunnen-vor-dem-Tore-Ersatz für heiße Sommertage.

Entstanden ist also ein so robustes wie pragmatisches Inselkonzept, das sich auch woanders in Wien – etwa in der Fußgängerzone Kärntner Straße (entworfen vom Wiener Architekten Clemens Kirsch) – bewährt hat. Beim Bau versuchte man zu recyceln und wiederzuverwerten, wo es ging. Das alte Gehsteigpflaster der Mahü kam wieder zum Einsatz und auch für die Beleuchtung der Straße wurden die bestehenden Kandelaber-Masten lediglich cremeweiß angestrichen. Allerdings ersetzte man die wuchtigen Lampen durch kleinere mit moderner Technologie – die Helligkeit der zusätzlichen, tiefer angebrachten 116 LED-Laternen passt sich den Lichtverhältnissen an. Ist ein Geschäft hell erleuchtet, scheint die Straßenlampe nur gedimmt.

Wer jetzt laut „Betonwüste!“ schreit, der sei auf das Beispiel des Mariahilfer Platzls beim Westbahnhof verwiesen. Dort sieht man, wie kümmerlich Grünpflanzen enden, wenn sie schutzlos auf stark frequentierte Plätze gestellt werden.

Die Mahü ist nun einmal kein Park. Und sie ist auch ein härteres Pflaster als die Kärntner Straße. Schön war die Einkaufsstraße bisher auch nicht, und das lag nicht ausschließlich am Autoverkehr: tagsüber Kommerz und schlechtes Essen, nachts gekreuzt von trinkfreudiger Jugend zwischen sechst- und siebtbezirkigen Beisln. Ein Aufenthalt auf der Straße selbst kam kaum vor, dazu war sie tags zu voll und abends zu leer; eigentlich ein unwirtliches Stück Stadt, und das nicht nur im Verwahrlosungsradius um die Schnellrestaurants.

Kostbarer Carrara-Marmor wäre hier, wo Kebabsegmente, Pommessackerln und Flüssigkeiten aller Art den Boden zieren, also fehl am Platz gewesen. Dass die neue Mahümöblierung trotzdem keine finstere Antivandalismusoptik ausstrahlt und auch nicht mit den berüchtigten Antisandlerdornen verziert ist, ist zu honorieren. Robustheit und Verspieltheit halten sich die Waage. Bleibt nur zu hoffen, dass auch die sogenannten Flaneure pfleglich mit ihr umgehen und die Inseln nicht von den Konsuminteressen fortgeschwemmt werden.

Am Freitag jedenfalls, pünktlich zum Start des Weihnachtsgeschäfts, wird der erste Abschnitt der neuen Mahü offiziell eröffnet; das Rahmenprogramm für Politiker-Reden reicht von der Zumba-Tanzschulen-Darbietung bis zu Wanda live. Im Februar beginnen dann die Bauarbeiten für den zweiten Bauabschnitt.

Erschienen in: 
Falter 46/2014, 12.11.2014